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COVID-19: Was erwartet die Bevölkerung des Vogtlandkreises in den nächsten Wochen?

Im Rahmen einer Pandemie gibt es aus bevölkerungsmedizinischer Sicht verschiedene Strategien, die in verschiedenen Phasen unterschiedliche Ziele verfolgen. Solange nur wenige Fälle auftreten, steht die Eindämmung im Vordergrund. Steigen die Erkrankungszahlen an, kommt zunächst zusätzlich dem Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen große Bedeutung zu. Sobald die Ansteckungszahlen noch stärker ansteigen – in dieser Phase befinden wir uns im Moment – gilt es, die Folgen so gut es geht abzuschwächen. Die beiden Schritte Eindämmung und Schutz vulnerabler Gruppen bleiben dabei weiter aktiv und tragen zur Verlangsamung der Ausbreitung und der Abschwächung der Folgen bei. 1

Sofern kein Impfstoff die Immunität großer Bevölkerungsteile garantieren kann, sehen Wissenschaftler es als notwendig an, dass mindestens zwei Drittel der Bevölkerung nach und nach durch eine Infektion eine Immunität gegen Sars-CoV-2 erlangen müssen. Nur so kann die Ansteckungsrate dauerhaft von anfänglich zwei bis drei auf eins und darunter gesenkt werden, so dass also im Schnitt ein Infizierter nur eine oder besser keine weitere Person infiziert. Auf dem Weg zu diesem Ziel muss die Zahl der gleichzeitig Erkrankten möglichst dauerhaft unter der Obergrenze, bei der das Gesundheitssystem überlastet wird und zusammenbricht, gehalten werden. Da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie derzeit zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, die Verbreitung der Erkrankung so gut wie möglich zu verlangsamen. Dadurch kann die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum gestreckt („die Kurve abflachen“) und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar gemacht werden.

Die strikten Einschränkungen der vergangenen vier Wochen dienten vorrangig der Zeitgewinnung, um den Anstieg der Kurve zu verlangsamen, das Gesundheitssystem vorzubereiten und individuellere, nach Regionen und Gegebenheiten angepasste und auf längere Dauer ausgelegte Strategien zu entwickeln. Da in den letzten Tagen in einigen Regionen bereits Ansteckungsraten von unter eins erreicht wurden, werden voraussichtlich nach Ostern nach und nach Lockerungen einsetzen. Diese sind aus wirtschaftlicher Sicht notwendig, aber auch, um Ansteckungen zuzulassen, ohne die keine Immunität in der Bevölkerung aufgebaut werden kann. Dies soll und darf aber nicht zu einer neuen starken Welle führen, sondern muss auf einem möglichst kontrollierten Level erfolgen mit besonderem Schutz gefährdeter Gruppen.2

Die drei nachfolgend geschilderten Komponenten einer an die Situation angepassten Strategie werden entsprechend der örtlichen/regionalen epidemiologischen Lage erfolgen.

A) Verhinderung der Ausbreitung durch Fallfindung und Absonderung von engen Kontaktpersonen

Die bisherige Strategie, Infizierte möglichst frühzeitig zu erkennen und zu isolieren, muss unbedingt fortgesetzt werden. Wenn die Gesundheitsämter dieser Aufgabe in manchen Regionen aufgrund steigender Fallzahlen nicht mehr nachkommen können, müssen sich Personen mit laborbestätigter Infektion selbst isolieren. Eine notwendige Behandlung erfolgt dann je nach klinischer Schwere der Erkrankung entweder ambulant oder stationär.

Enge Kontaktpersonen, d. h. Personen, die im gleichen Haushalt leben, Freunde sowie häufige Kontaktpersonen im privaten Umfeld von bestätigten Fällen haben ein hohes Risiko, selbst zu erkranken und dann weitere Personen zu infizieren. Deshalb ist auch die Quarantäne von Kontaktpersonen eine durch sämtliche Phasen der Epidemie hindurch wichtige Intervention. Auch hier müssen sich Kontaktpersonen selbst dafür engagieren, durch ihr persönliches Verhalten im Umgang mit anderen Personen das Übertragungspotenzial zu minimieren. Insbesondere der Kontakt von COVID-19-Erkrankten und vulnerablen Gruppen in der Bevölkerung, wie ältere Menschen und Menschen mit chronischen Grundkrankheiten ist zu vermeiden, da diese ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Erkrankungen haben.

Voraussetzung dafür ist eine möglichst umfassende, aber gezielte Testung, wofür im Landkreis mit den drei vorhandenen Corona-Portalpraxen sowie weiteren geplanten Teststrecken die Voraussetzungen geschaffen wurden. Zukünftig werden zusätzlich in der Entwicklung befindliche Antikörper-Tests Immunität nachweisen können, so dass beispielsweise immune Personen gezielt in der Pflege oder anderen kritischen Positionen eingesetzt werden können. Denkbar und derzeit in der politischen Diskussion ist auch die Unterstützung durch Apps. Die freiwillige Nutzung einer App, die Funkzellen- oder Bluetooth-Daten nutzt, könnte durch große Teile der Bevölkerung erfolgen. Denkbar ist, dass sie ihre Nutzer informiert, wenn diese in der ansteckenden Zeit eines Erkrankten mit diesem in Kontakt waren. Angepasste Verhaltensempfehlungen könnten dann über das weitere Vorgehen aufklären und den Nutzern helfen, für sich und ihre Umgebung optimale Verhaltensentscheidungen zu treffen.3, 4

B) physische Distanz schaffen

Eine zentrale Maßnahme bleiben auch weiterhin bevölkerungsbasierte kontaktreduzierende Maßnahmen, wie die Absage von Großveranstaltungen sowie von Veranstaltungen in geschlossenen Räumlichkeiten, bei denen ein Abstand von 1 – 2 Meter nicht gewährleistet werden kann. Aber auch der eigenverantwortliche Beitrag jeder Bürgerin und jedes Bürgers sind gefragt, sowohl im persönlichen Umfeld als auch in ihren beruflichen Funktionen oder ehrenamtlichen Engagement.
Die ohnehin mittlerweile selbstverständlichen Hygienemaßnahmen wie Husten- und Niesetikette sowie häufiges Händewaschen sind weiter essenziell. Zusätzlich ist denkbar, das Tragen von Masken/Mund-Nasen-Schutz verpflichtend zu machen, sobald ausreichend Masken für alle zur Verfügung stehen. Dies gilt insbesondere beim Einkaufen, in Bussen und Bahnen, Fabriken, Gebäuden und geschlossenen Räumen mit geringem Abstand. Diese Maßnahme dient dem Fremdschutz, um sowohl im Fall von Symptomen, als auch im Fall einer unauffälligen Infektion ohne Symptome andere vor Ansteckung zu schützen. Wichtig ist dabei, kein falsches Gefühl von Sicherheit zu entwickeln, sondern weiterhin auf einen Abstand von 1,5, besser zwei Metern zu achten.3, 4

C) gezielter Schutz von vulnerablen Gruppen, der aktiviert und intensiviert werden muss entsprechend der jeweils aktuellen Lage

Ein wesentlicher Bestandteil einer langfristigen Strategie ist auch hier der persönliche Beitrag jedes und jeder Einzelnen. Sowohl Personen der vulnerablen Gruppen selbst sollten die Teilnahme an Großveranstaltungen, Reisen oder Tätigkeiten mit einem hohen Risiko eines engen Kontakts mit sehr vielen Menschen vermeiden. Aber auch für den Schutz von vulnerablen Personen bei alltäglichen Erledigungen stellt die Unterstützung, z. B. im Rahmen von Nachbarschaftshilfe eine wesentliche Komponente des gesamten Maßnahmenpakets dar. Menschen in Alten- und Pflegeheimen müssen zumindest regional weiter mit Beschränkungen leben. Besuchssperren oder -einschränkungen für Krankenhäuser und für Alten- und Pflegeheime in Epidemie-Regionen werden langfristig notwendig sein.3, 4

Fazit

Selbstverständlich sind Prognosen sehr schwierig, da nach wie vor zu wenig Daten zur Verfügung stehen und nicht genug über das Verhalten des Virus und die Dauer der Immunität nach durchgemachter Infektion bekannt ist. Faktoren wie Therapie- und Impfstoffentwicklung sowie weitere Unwägbarkeiten können die Bedingungen verändern. Trotz absehbarer Lockerungen der derzeitigen Kontaktminimierung muss klar sein, dass noch auf lange Sicht keine Rückkehr zur vorherigen Normalität möglich sein wird. Die Pandemie wird uns voraussichtlich noch bis mindestens 2021 stark beschäftigen. Nicht nur Großveranstaltungen werden noch für einige Zeit nicht durchgeführt werden können. Auch weitere Auflagen werden Voraussetzung für ein Stück mehr Normalität sein. Es wird viel Disziplin und Verständnis für häufige Änderungen und kleinteilige Lösungen nötig sein.4

Quellen:
1: Robert Koch-Institut: SARS-CoV-2: Informationen des Robert Koch-Instituts zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen. Epid Bull 2020;7:5 – 6 | DOI 10.25646/6477.2
2:„SARS-CoV-2: Informationen des Robert Koch-Instituts zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen“ im Epidemiologischen Bulletin 7/2020 vom 13.2.2020, 1. Update im Internet vom 4.3.2020. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Empfohlene_Schutzmaßnahmen.html
3: Robert Koch-Institut: COVID-19: Jetzt handeln, vorausschauend planen. Strategie-Ergänzung zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen (2. Update) Epid Bull 2020;12:3 – 6 | DOI 10.25646/6540.2
4: NDR.DE/CORONAUPDATE NDR Info Podcast zu Corona mit Prof. Dr. Christian Drosten, Virologe, Charite Berlin, Transkripte der Folgen 1-28. https://www.ndr.de/nachrichten/info/Coronavirus-Update-Die-Podcast-Folgen-als-Skript,podcastcoronavirus102.html

08.04.2020