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Richtlinie des Vogtlandkreises orientiert sich am rechtlichen Elternbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuches

Die Debatte um die Regelungen des Sächsischen Gesetzes über Kindertageseinrichtungen (SächsKitaG) zur Ermäßigung von Elternbeiträgen hat nunmehr fast genau zwei Jahren nach dem Beschluss des Jugendhilfeausschusses vom 06.09.2017 zum Erlass einer „Richtlinie Absenkungsbeiträge gem. § 15 SächsKitaG im Vogtlandkreis“  ein Ende gefunden. Das Verwaltungsgericht Chemnitz hatte Anfang September dem Grunde nach eine Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom Februar dieses Jahres zur Auslegung  des Begriffes  „Eltern“ im Zusammenhang mit der Gewährung von abgesenkten Elternbeiträgen bestätigt und damit Patchworkfamilien den Rücken gestärkt.

So sei der Elternbegriff laut Gericht nicht eingeschränkt nach der Definition des Bürgerlichen Gesetzbuches  auszulegen (wie in vorgenannter Richtlinie), sondern mehr in einem sozialen Sinne zu verstehen. Was sich positiv für einige Patchworkfamilien auswirkt, hinterlässt aber auch finanzielle Auswirkungen bei einer Vielzahl anderer Familienkonstellationen.

Elternteile, die wieder mit einem neuen Partner zusammenleben, verlieren in Folge ihren rechtlichen Status als Alleinerzieherde im Sinne des SächsKitaG und damit ihren bisher gewährten Absenkungsanspruch eben als Alleinerziehender (obwohl rechtlich gesehen sich dieser Elternteil alleinig für die Erziehung seiner mit ihm zusammenlebenden Kinder verantwortlich zeichnet). Am Ende bleibt weiter die Frage, ob die getroffene Rechtsprechung  auch tatsächlich in der gelebten Praxis Gerechtigkeit und Gleichbehandlung für die Familien im Vogtland bedeuten. Nach Einschätzung des Jugendamtes als verantwortliches Fachamt ist dies zumindest stark zu bezweifeln und mit dieser Auffassung  steht die Verwaltung nicht alleine da.

Nachdem das Zusammenleben von Erwachsenen mit ihren Kindern in den letzten Jahren immer neue Lebensformen hervorgebracht hat, wurde es auch für alle Träger von Kindertageseinrichtungen  zunehmend schwieriger, die gesetzlichen Vorgaben des § 15 Abs. 1 SächsKitaG in der Praxis für die verschiedenen Familienkonstellationen umzusetzen. Hiernach sind Eltern mit mehreren Kindern und Alleinerziehenden Ermäßigungen für die erhobenen Elternbeiträge im Rahmen der Kinderbetreuung in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege zu gewähren. Grundhaft stand die Frage, wer in Auslegung des Gesetzestextes einen Anspruch auf den Erhalt von abgesenkten Elternbeiträgen hat und wie dies einheitlich im Vogtlandkreis umgesetzt werden könnte.  Vor diesem Hintergrund hatte die Verwaltung des Jugendamtes im ersten Halbjahr 2017 eine tiefgründige rechtliche Prüfung des Sachverhaltes vorgenommen und dabei neben einer eigenen rechtlichen Würdigung auch ein Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. mit herangezogen. Im Ergebnis entstand die „Richtlinie Absenkungsbeiträge gem. § 15 SächsKitaG im Vogtlandkreis“, welche sich inhaltlich grundlegend am rechtlichen Elternbegriff des BGB orientierte. Mit einstimmigem Beschluss Jugendhilfeausschuss wurde diese Richtlinie am 07.09.2017 verabschiedet und war mit in Kraft treten zum 01.01.2018 durch die kommunalen Satzungsgeber und die Kita-Träger in seiner Rechtsauslegung anzuwenden.

Mit den klaren Kriterien und Begriffsdefinitionen der Richtlinie gab es ab diesem Zeitpunkt immer für jede Familienform eine eindeutige Bestimmung, wer in welcher Höhe eine Absenkungen gem. § 15 SächsKitaG in Anspruch nehmen kann. Damit war zunächst auch ein wesentliches Ziel der neuen Regelungen erreicht, nämlich die Anwendung gleicher Maßstäbe und die Gleichbehandlung aller Familien im Vogtlandkreis. Für einige Patchworkfamilien mit eigenen gemeinsamen Kindern bedeutete die Neuregelung jedoch, dass diese bei der Bewertung ihrer Absenkungsansprüche tiefer in die Tasche greifen mussten, weil aufgrund der verwandtschaftlichen Verhältnisse nicht immer alle Kinder der Familie bei der Festlegung der Ermäßigungen Berücksichtigung finden konnten.   So wurde nunmehr in Folge der Frage nachgegangen, wie insbesondere der Begriff der „Eltern“, wie er seit 2001 im SächsKitaG verwendet wird, auszulegen sei. In einem ähnlich gelagerten Fall der Stadt Dresden war bereits 2016 ein erstinstanzliches Urteil des Verwaltungsgerichtes ergangen.  Darin bestätigte das Gericht eindeutig, dass beim Wortlaut des § 15 SächsKitaG vom Elternbegriff im verfassungsrechtlichen Sinne auszugehen sei und das Leben in einer sozial-familiären Beziehung mit einem Kind nicht ausreiche, Absenkungen für die Elternbeiträge zu gewähren. Begründet wurde das damalige Urteil u.a. mit dem Verweis auf die unterschiedlichen unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern zu ihrem Kind im Gegensatz zum neuen nichtelterlichen Partner, der keinerlei Unterhaltsverpflichtung zum mit in die Beziehung eingebrachten Kind hat. Das Gericht stellte darüber hinaus fest, dass die Begriffe „Familie“ und „Eltern“ nicht identisch seien. In gleicher Form äußerte sich auch das Kultusministerium Sachsen im September 2018 im Rahmen einer Kleinen Anfrage an den Landtag und brachte gleichzeitig zum Ausdruck, dass in den Regelungen der vogtländische Richtlinie keine Verletzung des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung gesehen werden kann.

Interne Berechnungen der Verwaltung belegten zwischenzeitlich auch an verschiedenen Familienkonstellationen, dass Patchworkfamilien durch die neuen Art der Gewährung von abgesenkten Elternbeiträgen  keineswegs finanziell benachteiligt wurden, oft haben diese Familien unter dem Strich eben durch die oben genannte Unterhaltsleistungen mehr Geld zum Leben zur Verfügung als eine konventionelle Familie mit Kindern gleicher Elternteile. Aus diesen Gründen hatte sich der Jugendhilfeausschuss wiederholt für die Beibehaltung der Richtlinie ausgesprochen.

Der Fall der Stadt Dresden war unterdessen weiter strittig und wurde so abschließend im Februar 2019 vom Sächs. Oberverwaltungsgericht (OVG) behandelt und entschieden. Das OVG stellte zunächst fest, dass dem Gesetzestext nicht entnehmen lässt, ob mit dem Begriff Eltern lediglich die biologischen Eltern erfasst werden sollten oder ob darüber hinaus auch auf die erwachsenen Personen abzustellen sei, die in einer Haushaltgemeinschaft die soziale Funktion von Eltern als Betreuer und Erzieher von Kindern ausüben.  In diesem Kontext hatte das Gericht dann die Gesetzesbegründung  von 1991 zum damaligen Gesetz zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen in Sachsen herangezogen. Der Einzelbegründung ist zur Reduktion der Elternbeiträge für Familien mit mehreren Kindern sowie von Alleinerziehenden zu entnehmen, dass diesen besonderen Lebenssituationen besonders Rechnung getragen werden müsse. Konkretere Überlegungen zu sogenannten Patchworkfamilien sind damals indes noch nicht angestellt worden. Da die Beitragsabsenkung in Sachsen nicht einkommensabhängig zu gewähren ist, führte dies zu dem Schluss der Richter, dass der Beitragsabsenkung bei mehreren Kindern sozial-familiäre Erwägungen zugrunde liegen müssen. In Folge dessen ist der in § 15 Abs. 1 SächsKitaG verwendete Begriff der Eltern in einem sozialen Sinne zu verstehen. Eltern können somit in diesem Zusammenhang über den rechtlich definierten Elternbegriff hinaus auch sonstige erwachsene Personen sein, die mit Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben. Dies wurde schlussendlich vom VG Chemnitz Anfang September 2019 auch in Hinblick auf die vogtländischen Regelungen nochmals als höchstrichterliche Entscheidung bestätigt, wonach sich fortan alle Beteiligten im Freistaat Sachsen zu richten haben. Das Jugendamt hatte daraufhin alle Träger von Kindertageseinrichtungen zum rechtlichen Sachstand informiert.

20.09.2019